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Rejection Sensitive Dysphoria

Aus ADHSpedia
Der Begriff Rejection Sensitive Dysphoria (RSD) geht auf den US-amerikanischen Psychiater William Dodson (2005) zurück. Empirische Belege für seine Postulate in Bezug auf RSD wurden von Dodson seither nicht vorgelegt.

Rejection Sensitive Dysphoria (RSD) ist ein dem US-amerikanischen Selbsthilfejournalismus entstammender Szenebegriff, der im Jahr 2005 durch den US-amerikanischen Psychiater William Dodson geprägt wurde. Mit dem Begriff, der wie ein definiertes Störungsbild klingt, wird ein nicht genauer beschriebenes Epiphänomen der ADHS bezeichnet. Nach dem Konzept der RSD handelt es sich um eine genetisch bedingte erhöhte Zurückweisungsempfindlichkeit (ZWE), die in einem direkten ätiologischen Zusammenhang mit ADHS stehen und ausschließlich in Kombination mit dieser Störung auftreten soll. Eine Komorbidität mit anderen Störungsbildern wird nach Dodson ausgeschlossen.[1] Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich spezifisch mit dem Phänomen RSD befassen, liegen nach aktuellem Stand nicht vor. Ein theoretisch fundiertes Konzept wurde bislang nicht entwickelt. Insofern handelt es sich bei RSD derzeit um eine empirische Leerformel.

Begriffsgeschichte und Anwendung

Der Begriff Rejection Sensitive Dysphoria wurde im Jahr 2005 vom US-amerikanischen Psychiater und ADDitude Magazine-Autor William Dodson eingeführt.[2] Dodson beschrieb Patienten mit RSD als

„...übertrieben empfindlich in Bezug auf die Wahrnehmung von Ablehnung, Kritik und Spott. Viele Patienten erleben daraufhin eine Art affektives Unwetter. Es besteht das Risiko einer erfolglosen Therapie, wenn Betroffene ihren behandelnden Arzt als analytisch, wertend und distanziert empfinden“.

Über Print- und Web-Artikel, die Dodson vor allem im US-amerikanischen ADDitude Magazine veröffentlichte, gewann der Begriff schrittweise an Bekanntheit. In den 2000er Jahren blieb die Verwendung im englischsprachigen Internet zunächst begrenzt. Erst ab den 2010er Jahren verbreitete sich der RSD-Begriff zunehmend. Seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre hat die Verwendung deutlich zugenommen, sodass inzwischen auch große ADHS-Verbände wie der US-amerikanische CHADD zur weiteren Etablierung beitragen.[3] In der Folge wird der Begriff anekdotisch von weiteren Websites übernommen, etwa vom umstrittenen[4] medizinischen Boulevardmagazin WebMD.[5] Häufig fehlt dabei der Hinweis auf Dodson oder das ADDitude Magazine, wodurch der Eindruck einer allgemein akzeptierten Bezeichnung entstehen kann.

Im deutschsprachigen Raum beschränkt sich die fachliche Resonanz bislang im Wesentlichen auf einen dem Begriff gegenüber eher distanzierten Blogbeitrag von Martin Winkler.[6]

Definition nach Dodson

Dodson legte bisher keine klare und konsistente Definition seines RSD-Konzeptes vor. In Anlehnung an das 1994 von Downey und Feldman[7] eingeführte und umfangreich untersuchte Konzept der Rejection Sensitivity (RS), das auf bindungs- und lerntheoretischen Modellen beruht und als Begleitphänomen bei einer Vielzahl psychiatrischer Störungen auftreten kann, beschreibt er bei RSD eine übersteigerte emotionale Reaktion auf erlebte

  • Zurückweisung
  • Mobbing
  • Kritik
  • Enttäuschung nahestehender Personen, wenn eigene Ziele nicht erreicht werden.[8]

An anderer Stelle führt Dodson unsystematisch die Dimensionen internalisierende RSD und externalisierende RSD ein. Die internalisierende Variante sei „in jeder Hinsicht eine normale emotionale Reaktion, nur stärker“.[9] Die externalisierende RSD beschreibt er durch kurze, verbale Ausbrüche: „...fzzzt, und schon es ist vorbei für den ADHS'ler, während der Rest von uns sich gerade erst wieder vom Boden aufrappelt“. Eine trennscharfe Abgrenzung zu bereits beschriebenen ADHS-Symptomen und Nebensymptomen wie Impulsivität und Affektlabilität bleibt aus.

Ätiologie nach Dodson

Dodson postuliert, dass RSD „genetisch und neurologisch bedingt“ sei.[1] Ein ätiopathogenetisches Modell mit konkreten biologischen oder psychologischen Mechanismen wurde jedoch nicht publiziert.

Prävalenz nach Dodson

Nach Dodson liege die Komorbidität von RSD bei ADHS bei „99,9 %“. Diese Angabe stütze sich ausschließlich auf seine eigenen Praxisbeobachtungen. Sie impliziert, dass nur eine von tausend Personen mit ADHS nicht an übersteigerter Zurückweisungsempfindlichkeit leide. Eine derart hohe Komorbiditätsrate wäre psychiatriehistorisch ein Extremfall. Empirische Daten, die diese Zahl stützen, wurden bisher nicht vorgelegt.

Behandlung von RSD nach Dodson

Da RSD nach Dodson genetisch und neurologisch verankert sei, stuft er Psychotherapie als wirkungslos ein. RSD sei aus seiner Sicht ausschließlich medikamentös behandelbar. Gleichzeitig betont er an anderer Stelle, dass der Behandlungserfolg stark vom Arzt-Patient-Verhältnis abhänge, was seiner eigenen Annahme einer rein biologisch determinierten Störung widerspricht.

Als zentrale Präparate zur Behandlung von RSD nennt Dodson wiederholt den irreversiblen Monoaminoxidasehemmer Tranylcypromin. Wissenschaftliche Belege für eine Wirksamkeit bei seinem eng gefassten ADHS-exklusiven RSD-Konzept legt er nicht vor. Stattdessen verweist er auf persönliche Erfahrungen aus seiner klinischen Tätigkeit. Tatsächlich existieren Hinweise, dass Tranylcypromin bei Rejection Sensitivity (RS) als Subtyp der atypischen Depression wirksam sein kann, nicht jedoch für die von Dodson postulierte Rejection Sensitive Dysphoria (RSD) als ADHS-spezifische Störung.

Als weiteres Mittel nennt Dodson den α2-Adrenozeptor-Agonisten Guanfacin, der für die Behandlung von ADHS zugelassen ist und RSD-Symptome angeblich lindern soll. Auch hierzu fehlen nachvollziehbare Wirksamkeitsnachweise.

Kritik und Risiken

Problematisch ist, dass Dodson konkrete pharmakologische Empfehlungen für ein Störungsbild gibt, das weder klar definiert noch von etablierten Störungsbildern sauber abgegrenzt ist. Diese Empfehlungen werden im Internet zunehmend von Gesundheitsportalen übernommen und dadurch weiterverbreitet.

Hinzu kommt, dass Tranylcypromin zu den nicht selektiven irreversiblen MAO-Hemmern gehört. Die Kombination mit serotonerg wirksamen Antidepressiva ist kontraindiziert, da ein erhöhtes Risiko hypertensiver Krisen besteht. Zudem müssen Diätrichtlinien beachtet werden, die eine kontinuierliche Kontrolle des Konsums tyraminreicher Nahrungsmittel wie Wein, Bier, Leber, Schalentiere, Avocado, Käse und Sauerkraut erfordern. Für Menschen mit ADHS sind diese Anforderungen im Alltag oft schwer zuverlässig umzusetzen und erhöhen das Risiko unerwünschter Wirkungen deutlich.

Wissenschaftliche Befunde

Beim Begriff Rejection Sensitive Dysphoria handelt es sich um ein unscharf umrissenes und theoretisch wenig begründetes Konstrukt. Veröffentlichungen zu RSD bestehen im Wesentlichen aus anekdotisch geprägten Artikeln, die fast immer direkt oder indirekt auf William Dodson zurückgehen. Systematische wissenschaftliche Untersuchungen zu RSD liegen nicht vor.

Gut untersucht ist dagegen die von Downey beschriebene und von Kathy R. Berenson operationalisierte Rejection Sensitivity (RS) beziehungsweise Zurückweisungsempfindlichkeit (ZWE).[10] RS beschreibt ein bereits lange vor dem RSD-Konzept diskutiertes Phänomen, das als Sekundärstörung in Verbindung mit zahlreichen psychiatrischen Störungsbildern auftreten kann. Dazu zählen unter anderem Borderline-Symptome, depressive Symptomatik, soziale Angst und aggressive Verhaltensweisen. Eine Übersichtsarbeit von Rosenbach und Renneberg (2011) kommt zu dem Ergebnis, dass kein signifikanter Zusammenhang zwischen erhöhter Zurückweisungsempfindlichkeit und ADHS nachweisbar ist.[11]

Siehe auch

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Einzelnachweise