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Kategorie:Behandlung

Aus ADHSpedia

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Behandlung (Therapie) der ADHS. ADHS ist nach aktuellem Wissensstand nicht heilbar. Die Störung lässt sich jedoch in vielen Fällen gut behandeln, sodass Kernsymptome, Funktionsbeeinträchtigungen und Langzeitrisiken deutlich reduziert werden können.[1] Ob und in welchem Umfang eine Behandlung angezeigt ist, hängt nicht allein von der Diagnose ADHS ab, sondern von der individuellen Symptomausprägung, dem Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung in Alltag, Schule oder Beruf sowie von Komorbiditäten und dem subjektiven Leidensdruck.[2]

Internationale Leitlinien empfehlen ein abgestuftes, multimodales Vorgehen, das psychoedukative, psychotherapeutische, pädagogische und pharmakologische Bausteine kombiniert und über die Lebensspanne hinweg angepasst wird.[3][4] Für Erwachsene wird ein ähnliches Prinzip empfohlen, wobei Pharmakotherapie im Vergleich zum Kindesalter häufiger einen zentralen Stellenwert einnimmt.[5]

Multimodales Vorgehen

Ziel einer ADHS-Behandlung ist nicht allein die Reduktion einzelner Symptome, sondern die Verbesserung des globalen Funktionsniveaus, der Lebensqualität und der Teilhabe sowie die Behandlung komorbider Störungen.[6] Leitlinien empfehlen daher ein individuell zugeschnittenes Behandlungsprogramm, das typischerweise folgende Komponenten umfasst:

  • verhaltensorientierte und psychotherapeutische Interventionen, etwa Elterntrainings, kognitiv behaviorale Verfahren oder Fertigkeitentrainings
  • Pharmakotherapie mit zugelassenen ADHS-Medikamenten bei klinisch relevanter Symptomatik
  • gezielte Behandlung von Komorbiditäten, etwa Angststörungen, Depressionen oder substanzbezogenen Störungen

Die Auswahl und Gewichtung der Bausteine orientiert sich an Schweregrad, Lebensalter, individuellen Präferenzen und der bisherigen Behandlungsgeschichte.[7][8]

Leichte Ausprägung

Bei leicht ausgeprägter ADHS-Symptomatik kann eine primär psychoedukative und psychosoziale Versorgung ausreichend sein, sofern Alltagsbewältigung und Rollenfunktionen nur gering beeinträchtigt sind.[9] Typische Elemente sind:

  • Beratung zu Strukturierung des Alltags, Organisation von Aufgaben und Umgang mit Ablenkbarkeit
  • Anpassungen im Schul- oder Arbeitsumfeld, etwa Nachteilsausgleiche, klare Regeln und Pausenregelungen
  • bei Kindern Elterntrainings mit verhaltensorientiertem Schwerpunkt

In dieser Konstellation kann ein abwartendes, beobachtendes Vorgehen mit regelmäßigen Verlaufskontrollen sinnvoll sein. Eine Pharmakotherapie wird in den Leitlinien bei milden Verläufen vor allem dann empfohlen, wenn psychosoziale Maßnahmen nicht ausreichen oder wenn sich die Belastung für den Betroffenen und sein Umfeld im Verlauf deutlich verstärkt.[10]

Mittelschwere Ausprägung

Bei mittelschwerer Symptomatik führen die ADHS-Symptome häufig zu deutlichen Einschränkungen in Schule, Ausbildung, Beruf oder sozialen Beziehungen. Leitlinien empfehlen in diesen Fällen meist eine Kombination aus Psychoedukation, verhaltensorientierten Interventionen und, abhängig von Alter und Präferenz, den Einsatz von ADHS-Medikamenten.[11]

Bei Kindern und Jugendlichen stehen strukturierte Elterntrainings, Lehrerberatung und kindzentrierte verhaltensorientierte Maßnahmen im Vordergrund. Eine Pharmakotherapie mit Methylphenidat, Amphetaminpräparaten oder Nichtstimulanzien wie Atomoxetin oder Guanfacin wird hinzugezogen, wenn psychosoziale Maßnahmen allein nicht zu einer ausreichenden Verbesserung führen oder wenn der Leidensdruck bereits initial deutlich ausgeprägt ist.[12]

Bei Erwachsenen wird in vielen Leitlinien eine Pharmakotherapie als Behandlungsoption erster Wahl genannt, die eingebettet werden soll in Psychoedukation, Coaching und bei Bedarf psychotherapeutische Interventionen, etwa zur Behandlung komorbider Depressionen oder Angsterkrankungen.[13]

Schwere Ausprägung

Schwere oder sehr schwere Verläufe sind durch ausgeprägte Funktionsbeeinträchtigungen, hohes Risiko für schulisches oder berufliches Scheitern, Unfälle, Konflikte mit dem sozialen Umfeld sowie häufige Komorbiditäten gekennzeichnet.[14] In diesen Fällen empfehlen Leitlinien konsequent eine Kombination aus:

  • sorgfältig eingestellter Pharmakotherapie mit Stimulanzien oder Nichtstimulanzien
  • intensiven verhaltensorientierten und psychotherapeutischen Maßnahmen
  • strukturierten pädagogischen Unterstützungsangeboten oder beruflicher Rehabilitation
  • konsequenter Behandlung komorbider Störungen, etwa Substanzgebrauch, Störungen des Sozialverhaltens oder affektive Störungen

Tritt trotz leitlinienorientierter Behandlung keine ausreichende Stabilisierung ein oder liegen gravierende psychosoziale Belastungen vor, kann eine teil- oder vollstationäre Behandlung angezeigt sein.[15]

Pharmakotherapie und Wirksamkeit

Stimulanzien wie Methylphenidat und Amphetaminpräparate gelten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS als hoch wirksam zur Reduktion von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität.[16] Meta-Analysen zeigen, dass ein großer Anteil der Patienten auf mindestens ein Stimulans mit relevanter Symptomreduktion anspricht, während Nichtstimulanzien wie Atomoxetin, Guanfacin oder Clonidin im Mittel geringere, aber klinisch bedeutsame Effekte aufweisen.[17]

Die Einstellung erfolgt leitliniengerecht unter langsamer Dosissteigerung, regelmäßiger Überprüfung von Wirksamkeit, Nebenwirkungen, Blutdruck, Herzfrequenz sowie Gewicht und Größe im Kindesalter.[18]

Psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen

Psychotherapeutische und psychosoziale Interventionen sind in allen Schweregraden bedeutsam. Für Kinder und Jugendliche gilt die Wirksamkeit von verhaltensorientierten Elterntrainings und multimodalen Programmen als gut belegt.[19] Für Erwachsene stehen kognitiv behaviorale Therapien im Vordergrund, die auf Organisation, Emotionsregulation und Selbstmanagement abzielen.[20]

Darüber hinaus werden schulische oder berufliche Interventionen empfohlen, etwa strukturierte Lernzeiten, angepasste Prüfungsbedingungen, Arbeitsplatzanpassungen oder Unterstützung durch Reha- und Integrationsdienste.[21]

Therapieergänzung

Als ergänzende Maßnahmen kommen unter anderem Coaching für Erwachsene, Lern- und Studienberatung, strukturierte Sportprogramme, Schlafhygienemaßnahmen oder moderate Ernährungsanpassungen in Betracht. Die Evidenzlage zu vielen dieser Ansätze ist heterogen, sie können jedoch zur Alltagsbewältigung beitragen, wenn sie in ein leitlinienorientiertes Gesamtkonzept eingebettet sind.[22]

Neurofeedback und verschiedene computergestützte Trainingsverfahren zeigen in Metaanalysen uneinheitliche Effekte. Leitlinien sehen sie daher eher als optionale Ergänzung, nicht als Ersatz für etablierte Behandlungen.[23]

Kritik an der Versorgungssituation

Trotz verfügbarer evidenzbasierter Leitlinien wird die Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit ADHS international und auch in Deutschland als unzureichend beschrieben. Berichtet werden eine regionale Unterversorgung, lange Wartezeiten, mangelnde spezialisierte Angebote für Erwachsene und eine teilweise unzureichende Qualifikation von Behandlern im Umgang mit differenzialdiagnostischen Fragestellungen und der multimodalen Therapieplanung.[24][25]

Parallel werden in einigen Ländern Überdiagnose und unsystematischer Einsatz von Stimulanzien diskutiert, insbesondere in Settings mit knapper Zeit für eine differenzierte Diagnostik.[26] Die Leitlinien betonen deshalb die Notwendigkeit einer standardisierten Diagnostik, einer sorgfältigen Indikationsstellung für Pharmakotherapie und einer kontinuierlichen Verlaufsbeobachtung, um sowohl Unterversorgung als auch Fehl- und Überbehandlungen zu vermeiden.[27]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Faraone, S. V., Banaschewski, T., Coghill, D., Cortese, S., Evans, S. W., Feifel, D., et al. (2024). Attention deficit hyperactivity disorder. Nature Reviews Disease Primers, 10, 37. https://doi.org/10.1038/s41572-024-00495-0
  2. Banaschewski, T., Jans, T., Döpfner, M., Haack, S., & Hage, A. (2018). S3 guideline attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults. German Medical Science. https://doi.org/10.3205/18gms04
  3. National Institute for Health and Care Excellence. (2018). Attention deficit hyperactivity disorder: Diagnosis and management (NICE guideline NG87). National Guideline Centre. https://www.nice.org.uk/guidance/ng87
  4. Coghill, D., Banaschewski, T., Cortese, S., Asherson, P., Brandeis, D., Buitelaar, J., et al. (2023). The management of ADHD in children and adolescents: Bringing evidence to the clinic. European Child & Adolescent Psychiatry, 32(8), 1337–1361. https://doi.org/10.1007/s00787-021-01871-x
  5. Kooij, J. J. S., Bijlenga, D., Salerno, L., Jaeschke, R., Bitter, I., Balázs, J., et al. (2019). Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD. European Psychiatry, 56, 14–34. https://doi.org/10.1016/j.eurpsy.2018.11.001
  6. Faraone, S. V., Banaschewski, T., Coghill, D., Cortese, S., Evans, S. W., Feifel, D., et al. (2024). Attention deficit hyperactivity disorder. Nature Reviews Disease Primers, 10, 37. https://doi.org/10.1038/s41572-024-00495-0
  7. Banaschewski, T., Jans, T., Döpfner, M., Haack, S., & Hage, A. (2018). S3 guideline attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults. German Medical Science. https://doi.org/10.3205/18gms04
  8. Coghill, D., Banaschewski, T., Cortese, S., Asherson, P., Brandeis, D., Buitelaar, J., et al. (2023). The management of ADHD in children and adolescents: Bringing evidence to the clinic. European Child & Adolescent Psychiatry, 32(8), 1337–1361. https://doi.org/10.1007/s00787-021-01871-x
  9. National Institute for Health and Care Excellence. (2018). Attention deficit hyperactivity disorder: Diagnosis and management (NICE guideline NG87). National Guideline Centre. https://www.nice.org.uk/guidance/ng87
  10. Banaschewski, T., Jans, T., Döpfner, M., Haack, S., & Hage, A. (2018). S3 guideline attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults. German Medical Science. https://doi.org/10.3205/18gms04
  11. Coghill, D., Banaschewski, T., Cortese, S., Asherson, P., Brandeis, D., Buitelaar, J., et al. (2023). The management of ADHD in children and adolescents: Bringing evidence to the clinic. European Child & Adolescent Psychiatry, 32(8), 1337–1361. https://doi.org/10.1007/s00787-021-01871-x
  12. Cortese, S. (2020). Pharmacologic treatment of attention deficit–hyperactivity disorder. The New England Journal of Medicine, 383(11), 1050–1056. https://doi.org/10.1056/NEJMra1917069
  13. Kooij, J. J. S., Bijlenga, D., Salerno, L., Jaeschke, R., Bitter, I., Balázs, J., et al. (2019). Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD. European Psychiatry, 56, 14–34. https://doi.org/10.1016/j.eurpsy.2018.11.001
  14. Faraone, S. V., Banaschewski, T., Coghill, D., Cortese, S., Evans, S. W., Feifel, D., et al. (2024). Attention deficit hyperactivity disorder. Nature Reviews Disease Primers, 10, 37. https://doi.org/10.1038/s41572-024-00495-0
  15. Banaschewski, T., Jans, T., Döpfner, M., Haack, S., & Hage, A. (2018). S3 guideline attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults. German Medical Science. https://doi.org/10.3205/18gms04
  16. Cortese, S. (2020). Pharmacologic treatment of attention deficit–hyperactivity disorder. The New England Journal of Medicine, 383(11), 1050–1056. https://doi.org/10.1056/NEJMra1917069
  17. Cortese, S., Adamo, N., Del Giovane, C., Mohr-Jensen, C., Hayes, A. J., Carucci, S., et al. (2018). Comparative efficacy and tolerability of medications for attention-deficit hyperactivity disorder in children, adolescents, and adults. The Lancet Psychiatry, 5(9), 727–738. https://doi.org/10.1016/S2215-0366(18)30269-4
  18. Coghill, D., Banaschewski, T., Cortese, S., Asherson, P., Brandeis, D., Buitelaar, J., et al. (2023). The management of ADHD in children and adolescents: Bringing evidence to the clinic. European Child & Adolescent Psychiatry, 32(8), 1337–1361. https://doi.org/10.1007/s00787-021-01871-x
  19. Daley, D., Van der Oord, S., Ferrin, M., Danckaerts, M., Doepfner, M., Cortese, S., et al. (2014). Behavioral interventions in attention-deficit/hyperactivity disorder. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 53(8), 835–847. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2014.05.013
  20. Kooij, J. J. S., Bijlenga, D., Salerno, L., Jaeschke, R., Bitter, I., Balázs, J., et al. (2019). Updated European Consensus Statement on diagnosis and treatment of adult ADHD. European Psychiatry, 56, 14–34. https://doi.org/10.1016/j.eurpsy.2018.11.001
  21. Coghill, D., Banaschewski, T., Cortese, S., Asherson, P., Brandeis, D., Buitelaar, J., et al. (2023). The management of ADHD in children and adolescents: Bringing evidence to the clinic. European Child & Adolescent Psychiatry, 32(8), 1337–1361. https://doi.org/10.1007/s00787-021-01871-x
  22. Chacko, A., Merrill, B. M., Kofler, M. J., & Jarrett, M. (2024). Improving the efficacy and effectiveness of evidence-based psychosocial interventions for ADHD in children and adolescents. Translational Psychiatry, 14, 244. https://doi.org/10.1038/s41398-024-02890-3
  23. Sonuga-Barke, E. J. S., Brandeis, D., Cortese, S., Daley, D., Ferrin, M., Holtmann, M., et al. (2013). Nonpharmacological interventions for ADHD: Systematic review and meta-analyses. The American Journal of Psychiatry, 170(3), 275–289. https://doi.org/10.1176/appi.ajp.2012.12070991
  24. Banaschewski, T., Jans, T., Döpfner, M., Haack, S., & Hage, A. (2018). S3 guideline attention deficit/hyperactivity disorder (ADHD) in children, adolescents and adults. German Medical Science. https://doi.org/10.3205/18gms04
  25. Young, S., Asherson, P., Lloyd, T., Absoud, M., Arif, M., Colley, W. A., et al. (2021). Failure of healthcare provision for attention-deficit/hyperactivity disorder in the United Kingdom. Frontiers in Psychiatry, 12, 649399. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.649399
  26. Faraone, S. V., Banaschewski, T., Coghill, D., Cortese, S., Evans, S. W., Feifel, D., et al. (2024). Attention deficit hyperactivity disorder. Nature Reviews Disease Primers, 10, 37. https://doi.org/10.1038/s41572-024-00495-0
  27. National Institute for Health and Care Excellence. (2018). Attention deficit hyperactivity disorder: Diagnosis and management (NICE guideline NG87). National Guideline Centre. https://www.nice.org.uk/guidance/ng87